An Der Mauer
Es war ein ständiges Kratzen, Scharren oder vielmehr eine abstruse Form von Schleifen und Ächzen zu hören. Dieses andauernde hinein kriechen wollen, dieses bedingungslose Verlangen die Mauer zu erreichen und an ihr anzubranden, sie auszuhöhlen! In weiten Teilen ist Sie porös geworden und der Stein begann zu rieseln. Es zermürbte den Geist alles Lebendigen, alles Guten in und hinter der Mauer.
Der schon eisige und immer kälter werdende Regen klatschte und wehte mit Kraft gegen den schwarzen Stein des gigantischen Bollwerks. Diese uralte Wehranlage zwischen Ost und West, welches die Lücke zwischen der schwarzen Sichel und den Trollzacken schon seit Jahrhunderten hinweg versperrte, trotze auch in diesen Tagen dem unheiligen Ansturm. Die Horden des Sphärenschänders haben es nicht geschafft diese Grenze zu überschreiten, auch wenn zu viele andere Linien seither viel zu weit verschoben wurden. Zwischen Heil und Unheil war nunmehr schwer zu scheiden. Und immer noch kriechen diese unheiligen Toten, die unlebendigen Marionetten der schwarzen Herrin und ihrer Heerführer, Nacht für Nacht gegen diese Bastion an. Sie rauben einem den Schlaf, zerren an Geist und Gesundheit und beleidigen jede Gläubigkeit. Die Saat der Verzweiflung gedeiht unweigerlich bei jedem der wieder und wieder den gleichen alten Freund erschlagen muss. Und genau das ist die Pflicht der mittelreichischen Soldaten seit Mondläufen. Derzeit sind es die albernischen Regimenter, welche an die Mauer kommandiert sind. Ursprünglich war mit Ihnen die Trollpforte mit über eintausend Kämpfern bemannt worden. Es wurden in einem rotierenden Ablauf immer 400 Mann in Rüstung und Waffe an der Mauer gehalten und doch – die Fähigkeit Stand zu halten schwindet mehr und mehr nach letzter Nacht.
Die Nacht des Schlachtens, des brennenden Gemetzels. Alle Kräfte, jeder Albernier, jeder Mann und jeder Bub aus dem Westen, wo Praiosschein und Leben noch kämpfen können, standen in und auf der Mauer. Der Himmel der Nacht war verhangen. Pechschwarze Wolken schluckten jedes Licht und selbst der Schatten der durch Fackeln und Leuchtfeuer geworfen wurde schien gedämpft. Auf dem welligen und verbrannten Feld im Osten konnte weit hinten und nach und nach immer deutlicher Bewegung gesehen werden. Huschend aber stellenweise auch Massiv und immer mit unaufhaltsamer Beharrlichkeit. Erst auf wenige hundert Schritt hin waren die Umrisse der Kampftürme zu erkennen. Trollhoch und größer türmten Sie sich vor uns auf und schleppten sich zäh der Mauer entgegen. Dann konnte man Sie erkennen. Hinter den Türmen kamen Sie zum Vorschein. Riesige Kolosse. Aufrecht gehende monströse Gestalten. Es drang ein markzerreißendes knirschen und ein metallenes Kreischen an die Zinnen der Mauer heran. Steine der Mauer wurden gesprengt und zersplitterten. Der erste Treffer kostete kein Leben. Er kostete Mut. Der erste eiserne Koloss schleuderte mit immenser Gewalt einen Stahlspeer von mehreren Schritt Länge gegen die Trollpforte. “Panzerschreiter!” kamen die Rufe von allen Abschnitten. Die Schlacht hatte begonnen.
Die Steine auf dem Brett waren gelegt und es war keine rettende Karte in unserem Ärmel versteckt geblieben. Jetzt war die Zeit des Handelns. Jedes Kommando kam zur rechten Zeit, jeder Entschluss war ohne Zaudern. So lange der lebendige Körper Atem und Kraft hatte, wurden die Hiebe geführt, Geschütze geladen und die Pferde nach vorne getrieben. Das Heer war zu einem einzigen Schlag geworden der vernichtete oder verging.
Und es schien als würden wir vergehen. Viele der feindlichen Türme brannten und nur noch einer der schreitenden Kolosse warf uns seine Stahlgeschosse entgegen, aber die Mitte der Mauer war nur noch schwer zu erkennen. Wo Feuer nicht offen loderte, stieg kohlschwarzer Rauch in den Nachthimmel. Schlachtlärm war noch zu hören, doch mehr und mehr drangen die verzweifelten Schreie und das hoffnungslose Stöhnen derer zu uns herüber, die hinübergingen in das nächste Reich. Der mittlere Mauerabschnitt war überrannt worden. Es sind zu viele! Jedes Skelett, jeder zermalmte Knochen der am Boden lag, war wenige Augenblicke später wieder mit dem Messer an der Wand.
Ich stand weit vorne dabei. Brego, mein gutes getreues Roß war unter mir zusammengebrochen. Durch reinen Willen, die Sturheit in der Verzweiflung trieb mich weiter, gelangte ich gemeinsam mit Taran bis hin zu dem verfluchten Geist. Ugdalf von Hohenasberg. Er war schon vor längst vergessener Zeit dem Totengott der Orks verfallen und nun glaubten wir, er könne zum neuen Gefäß des Legaten der Herrin der Untoten geworden sein. Und dann, wir kämpften hart, wir schonten Nichts, nicht Zeug noch Mensch, hatten wir doch keinen Sieg eringen können, als die Welt im Nichts versank. Tief schwarz, kalt und voll von Schmerz war mir der letzte Augenblick, den ich jetzt entsinnen kann. Spät erst, nach nicht zu erahnender Zeit, war da nur noch Schmerz geblieben. Wie es auch geschehen sein mag, in mir war noch Leben und das ist ein Wunder.
Die Nacht ist jetzt schon fast vorüber. Madas Kraft, oder was auch immer, hat das Unleben verzehrt. Zwei Fronten, von Süd und Nord hin zum Feind, konnten uns nichts mehr nutzen. Zu wenige Streiter haben die Schlacht bis hier hin überstanden und so musste die südliche Bastion aufgegeben werden. Das Haupttor durch die Mauer musste gehalten werden und hier ließ ich alle Kräfte zusammenkommen. Das war der Moment, als die nur noch wenigen Albernier dann Zeuge dieses Schicksalszeichens wurden.
Zwei Sterne fielen. In rotem Licht schien das Madamal und aus dem Himmel gerissen hinterließen die rot glühenden Körper hinter ihrem Schweif nur dunkle Leere. Die Namenlose Leere wuchs. Heute Nacht wurde das was uns hier auf Dere widerfahren ist uns nochmals wie in einem Spiegel am Himmel vor die Augen gehalten und was unsere Geister sofort erkannten, was jeder Mensch sofort spüren konnte, war die Angst und Verzweiflung die uns noch bevorsteht. Auch wenn heute Nacht die Mauer in der Hand der Freiheit bleibt muss die Menschheit um jeden Keim der Hoffnung weiter kämpfen. Dieses Zeichen gilt dem Orkgott und seiner Brut. Es gilt nichts Gutes.
Während nun also die Gelehrten sprechen und um die Wahrheit des Zeichens streiten und sich um Erklärung und Leitung mühen, beginnt das nüchterne Zählen. Wahr ist, dass die albernischen Regimenter Atem schöpfen müssen und weiter atmen müssen. Gerade jetzt ist es entscheidend nicht zu verharren, sondern von neuem Wege zu ersinnen, um der unstrittigen Bedrohung der Heimat, aber auch jeden anderen Ortes, zu begegnen. Hierzu gilt es viel zu tun.
Ich, der Krieger den Inver ni Benain zu Ihrem Champion bestimmt hat, bin es, den nun die erwartungsvollen Gesichter anblicken. Der bedrückende schwarze Stein der Mauer wurde auch im Kommandostand nur durch wenige Kerzen erhellt. Die Türen zu jeder Himmelsrichtung waren jetzt geschlossen und vor jeder der vier Zugänge standen Wachen. Der an sich recht große Raum wirkte in diesem Moment doch eher beengt. Die Männer standen Schulter an Schulter um den massiven alten Eichentisch herum. Unzählige Kerben, Verfärbungen und andere Zeichen der Zeit und des Gebrauches liesen erahnen wie lange dieser Kommandostand schon genutzt wurde. Die große Karte, welche Mittig auf der mehrere Finger dicken Tischplatte ausgebreitet war, deckte diese bei Leibe nicht ab. Einige grob geschnitzte Figuren aus Holz standen neben der Karte am Rand. Es waren schlichte Zylinder und Würfel. Die Würfel waren recht klein und von den Zylindern gab es zwei verschiedene Größen. Weiß gekalkt standen die Holzfiguren schon auf der Karte. Jede Holzform stellte ein Banner oder ein Regiment dar. Die Würfel konnten Kräfte in unbekannter Stärke abbilden und so ergab sich für den bewanderten ein recht klares Bild davon wie die eigenen Truppen verteilt standen, oder sich bewegten. Operation Weiß, das war hier schon gut zu erkennen, lief in vollen Zügen. Am Rand der Karte standen noch die restlichen in Pech geschwärzten Hölzer. Shean, der grau gewordene Obrist stellte die Figuren nach und nach mit jeder eingehenden Meldung an den richtigen Ort auf der Karte. Alle um den Tisch herum stehenden Offiziere konnten zusehen wie das Resultat der Schlacht sich auf der Karte herausbildete. Die vier Regimenter waren auf die Kampfkraft von weniger als einem zerschlagen worden. Eine einzige Rotze konnte vielleicht noch ein oder zwei Mal schießen bevor sie auseinander fällt. Der Sternenfall lähmte die Ordenskrieger Golgaris und seither sind sie nicht mehr ansprechbar noch recht bei Sinnen. Aus dem Westen aber nahen zwei frische Regimenter aus Wehrheim. Zumindest der Zahlen nach mögen es Regimenter sein. Ihr Wert an der Mauer muss angezweifelt werden. Aus dem Osten dagegen kehren zwölf Regimenter zurück – Erfolglos. Warunk ist immernoch in der kalten Klaue des Knochendrachen und versprengte Feindestruppen werden Ihnen auf ihrem Marsch an die Mauer im Weg sein. Wer weiß wie viele wirklich hier ankommen mögen. Ich beobachte eine lange Weile die abgekämpften Krieger. Das Kerzenlicht zaubert flackernd die Anstrengung noch tiefer in ihre Gesichter. Doch lebenslange Disziplin und Härte gegen sich selbst hält Sie wach und entschlossen. Ihre Erwartungen sind fast greifbar. Wie ein zähes Öl liegen Sie über dem Tisch, der Karte und in dem ganzen Raum.
“Ich bin voller Glück!” höre ich mich sagen und kann das Erstaunen und die Überraschung der Männer erkennen lang bevor diese in ihren Zügen und Bewegungen sichtbar werden. “Ich bin voller Glück in dieser Schicksalzeit unter Meinesgleichen zu sein. Ich bin voller Glück in dieser Götter berührten Nacht gekämpft zu haben. Ich bin voller Glück, denn es dauert nicht mehr lang bis ich die Heimat wieder sehe.” Schweigend, sich an den wunden Gliedern reibend und hier und da nickend wich die Überraschung der Zustimmung und der Hoffnung. “Und ich bin voller Zuversicht – Zuversicht die alle Trauer überwinden kann und uns jetzt antreibt.” Ich lies mir jetzt Zeit. Ich sah in die Augen der Männer. Gaelen wurde allmählich wieder froh aber sein Fehlen war ihm noch ins Gesicht gezeichnet wie eine klaffende Wunde. Die Fähnriche wirkten ein wenig stolzer als noch zuvor aber keiner von Ihnen dürfte noch mehr Last zu tragen vermögen. Die Honinger waren überwiegend in zweiter Reihe eingesetzt und ihren Gestalten war überdeutlich anzusehen, das dies auch nicht anders denkbar gewesen wäre. Mit eiserner Verbissenheit hielt sich der schwer getroffene Oriell, aus dem alten almadanischen Geschlecht der Gangriells, an seiner Krücke aufrecht am Kartentisch. Dies war bei Leibe nicht seine erste Schlacht und er wusste ohne Zweifel noch weiter zu schlagen. Ich war gerade in diesem Moment froh ihn hier zu haben. Sein Vorbild unterstrich meine
Zuversicht. “Wir marschieren ab Morgen früh zurück nach Albernia.” Ich hatte den Satz noch nicht beendet, als die Männer schon begannen auf den Tisch zu klopfen und ein raues “Ahy!” zu skandieren als sich Carlos Haddoc, der Rangnachfolger der Honinger grimmig das Wort nahm. “Ich schätze deine Absicht genauso wie jeder andere hier Wolfhart, aber wie genau sollen wir das machen, wir haben fast keine Pferde mehr, die meisten Wagen sind gebrochen und”, in diesem Moment hob ich die lederne Handfläche meiner Rechten und deutete Ihm und allen anderen zu schweigen und abzuwarten. Nach einem kurzen Gemurmel erhob ich die Stimme und konnte ein feines schmunzeln nicht verhelen. “Ich sagte wir marschieren ab morgen früh. Und jetzt sage ich euch auch wer damit beginnt und auf welchem Weg er geht.” Ich nahm einen der kleinen weißen Holzzylinder in die Hand, drehte ihn kurz zwischen den Fingern und warf ihn dann in langem Bogen Gealen vor die Brust. Er fing ihn mit überraschter Miene mit beiden Händen so das das klingen seiner Platte vom Treffer nur ganz kurz zu hören war. “Du wirst morgen früh marschieren. Du nimmst dir ein Halbbanner und Pferde. Du reitest ohne Tross und schnell.” Wieder machte ich ein Pause und sog die Verwirrung der Männer in mich auf. Ich konnte die Fragen in den Augen lesen. Wieso er? Warum schnell? Ohne Tross? “Du wirst an Wehrheim vorbei reiten und Gareth links liegen lassen. Du gehst über Greifenfurt und umgehst den Kosch im Norden. Winhall wird dir entgegen gehen. Gealen, dein Auftrag ist es Winhall vorzubereiten. Die Gräfin wird das genauso sehen. Lass dich nicht aufhalten. Satinav ist ab jetzt unser schlimmster Feind. Hast du deinen Auftrag verstanden?” Gealen sah mich entschlossen an. Ihm waren die Gesichtszüge eingefrohren, da er nun verstanden hatte das es kein Fest zu seiner Heimkehr geben wird. Es würde für niemanden einen heiteren Empfang geben. Er hatte gerade verstanden das sein Champion ihn in die nächste Schlacht geschickt hat. “Ahy. Ich habe verstanden.” grollte sein deutlicher Bass durch den Raum. Ich nickte. “Sgian, du hast genau drei Tage, dann marschieren die restlichen Winhaller, die Havener und die Abagunder mit den fünf Rotzen, genügend Munition, und dem Tross auf dem gleichen Weg. Ihr müsst hoffen das die Gräfin bis dahin den Weg am Thuransee vorbei befestigt hat. Die Ausrüstung und die Geschütze sichtet und repariert ihr auf dem Weg so gut es eben geht.” Ohne Aufforderung kam auch von ihm die Bestätigung seines Auftrags. Die Feinheiten, das wusste er besser als ich, klären sich nicht vor dieser Karte. Alle Verwundeten und all die, welche weder in Kyvenberg noch in Kyvendoch mehr eine Heimat haben, sollten nach der Schneeschmelze im Frühjahr über den Greifenpass nach Albernia kommen. Die Toten sollten gefunden und an einem Ort gesammelt werden. Sie werden verbrannt.
Ich beantwortete noch einige Fragen und auch Taran und Yann konnten das ein oder andere noch erläutern. Manch Ungewissheit blieb jedoch. Lilu sagte nichts und mir schien es, als sei ihr Schweigen für die Männer die entscheidende Zustimmung. Durin und Dunkar waren die gesamte Zeit ruhig aber aufmerksam an der Ostseite des Tisches geblieben. Gemeinsam aßen wir dann noch ein herrliches Mahl, bevor wir zur angehenden Mittagsstunde Ruhe fanden.