Einige Jahre nach dem Verschwinden von Taran gelangte folgender Artikel in den Salamander. Ein sozusagen Insiderbericht über die arkane Macht die Taran zur Verfügung stand.


Vom Imagicum Arcanae

 

Einst begab es sich, es ist schon einiges an Götterläufen her, da war ich mit meinen Gefährten auf Reise welche nicht jederzeit ungefährlich war. Neben den wohlbekannten und ebenso verdienten Recken welche mich und ich sie andauernd begleite war zu damaliger Zeit ein in gildenkreisen ausgezeichneter Magier der seinen Dienst zuvor in den des zweiten Dämonenabwehrkorps gestellt hatte mit im Bunde. Sein Name war und ist noch, so hoffe ich, Jandar Gerrano von der Kampfakademie in Bethana, Sohn des Schulleiters und äußerst machtvoller Abgänger seiner Akademie. Von seiner handwerklichen Meisterschaft abgesehen hatte er die leider äußerst unhöfliche Angewohnheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu fragen wieviel Kraft mir noch verblieben sei. Nun will ich aber nicht von Gepflogenheiten und Höflichkeiten schreiben sondern lieber von der Antwort oder besser noch der vorausgehenden Prüfung will man sich denn selbst dieser versichern.

Nun verhält es sich mit der Kraft nicht so wie mit der allgemeinen Gesundheit jedes Einzelnen, denn zu jeder Zeit könnte ich wohl sagen “mir grimmt der Magen” falls ich etwas Ungutes gegessen habe oder auch “mir schmerzt die Hand” nachdem ich mich am Brotmesser schnitt. Die Kraft ist in vielen Bereichen ein Mysterium und so benötigen gildenmagisch Ausgebildete denn auch die Besinnung auf sich selbst in einem bewussten Akt um zu prüfen wie viel davon ihnen noch zur Verfügung steht. Dies geschieht analog dem ersten Schritt jeder Zauberhandlung wie schon in der Encyclopedia Magica beschrieben:

“Versichere dich, dass dir die Kraft in ausreichendem Maße zur Verfügung steht”.

Ich kann mir vorstellen, dass es bei magisch anders Ausgebildeten nicht in eben jener Art und Weise geschieht, doch auch sie müssen sich der Menge Ihrer Kraft bewusst werden und so bin ich mir zwar nicht der Art aber der Existenz von Techniken mit selbigem Ziel sicher.

 

So Du interessiert bist lies nun wie sich diese Technik in der Gildenmagie darstellt.

 

Das was auf Bosparano als das Imagicum Arcanae bezeichnet wird lernte ich in meinem zweiten Jahr an der altehrwürdigen und jenseits der Grenzen des Landes der ersten Sonne bekannten und beneideten Lehranstalt vom Ey des Drachen zu Yash’Hualay. Es wird den Eleven beigebracht bevor sie noch die allerersten Handlungen zur Ausformung arkaner Matrizen erlernen. In Stunden tiefer Konzentration stellte ich mir bildhaft einen würdigen und angenehmen Ort vor in welchem ich zukünftig die Quelle meiner persönlichen Kraft willentlich und sehenden Auges erfahrbar machen sollte und später auch konnte. Diese Konzentrations- und inzwischen kann ich sie auch Meditationsübungen und –techniken nennen bauen aufeinander auf und in einem folgenden Schritt lernt der Eleve sich einen Gegenstand oder ein Objekt vorzustellen welches veränderlich in seiner Natur ist, gleichbedeutend mit der Anwesenheit beziehungsweise Abwesenheit von einer zuordenbaren Komponente. Da dies eine sehr persönliche Vorstellung ist verbietet es die Höflichkeit danach zu fragen und selten wird einer meiner Standeskollegen aus freien Stücken davon erzählen. Da ich mich bei Veröffentlichung, so dies geschehen sollte, dieser Zeilen allerdings nichts mehr zu fürchten habe will ich offen hiermit umgehen. Ich hörte bereits hinter vorgehaltener Hand von Hainen mit einem einzelnen Baum der im Wandel der Kraft blüht oder vergeht, von Flüssen die durch die Wüste schossen und zu staubigen Rinnsalen vergehen doch mein Imagicum Arcanae ist ein anderes.

 

Hoch oben in einem elfenbeinernen Turm befindet sich ein zu allen Richtungen offener Raum mit hohen Säulenfenstern aus denen man einen atemberaubenden Blick in jede Himmelsrichtung werfen kann. Der Blick streift dabei über entfernt liegende Städte dichte Wälder bis hin zu einem in weiter Ferne und nur im Licht der untergehenden Sonne schimmernden Ozean. Der Raum selbst hat eine Fensterhöhe von vielleicht drei Schritten und misst in der Mitte wohl derer fünf. Mit bloßen Sohlen verursacht der helle Marmorboden tapsende Geräusche, ist aber seltenst kalt und unangenehm. In den weiter oben angeführten und auf der Bildung des ersten Bildes aufbauenden Konzentrationsübungen ist dieser Raum um ein im Zentrum stehendes Becken aus grauem Granit erweitert worden. In diesem befindet sich kaltes und klares Wasser, ähnlich dessen eines Gebirgsbaches, von einem Ferner geschmolzen ins Tal hinabrauschend. Das Wasser ist, Du wirst es schon vermutet haben, die mir zur Verfügung stehende Kraft und so kann ich diese durch Betreten meines Imagicums und Betrachten der in meinem Becken befindlichen Wassermenge erkennen.

 

In guten Zeiten und auf der Höhe meiner Kräfte ist dieses Becken nun bis zum Rand gefüllt und ich kann aus dem Vollen schöpfen. Ein Blick aus dem Fenster offenbart Wälder in den farbenprächtigsten Grüntönen und die Felder stehen voll, die Sonne hoch und im lauen Sommerwind kann ich einzelne Vögel in der Ferne Ihre Kreise ziehen sehen.

Neigt sich meine Kraft dem Ende zu oder ist sie sogar zur Gänze versiegt, so ist nicht nur das Becken leer sondern es herrscht auch tiefster Winter. Meine Füße beginnen zu frieren während ich vereinzelt liegende Schneeflocken unter ihnen zum Schmelzen bringe, die seidenen Vorhänge wehen im dämmerigen Licht der untergehenden Sonne aufgrund eines garstigen Windes und sowohl Felder als auch Wälder sind fest im Griff einer firnfarbenen Faust.

 

Ein jeder Magiewirkender kennt den Umstand, dass im Laufe der Jahre die in Summe zur Verfügung stehende Kraft nicht unveränderlich, sondern selbst einem Wandel unterworfen ist. Dies liegt an dem was die Gildenmagie Astralkörper nennt und der an sich veränderlich ist durch beeinflussbare und nicht beeinflussbare Faktoren. Zum einen wird bis zum Verfall des leiblichen Körpers auch der Astralkörper wachsen. Ähnlich der Kindheit und der Jugend am Anfang schnell und mit steigendem Alter immer langsamer. Und wie das Leben wird auch irgendwann die Astralkraft wieder schwinden und einen mit dem Tod in Gänze wieder verlassen. Und dies ist nur einer der nicht beeinflussbaren Faktoren, wenngleich einige meiner Zunft der Meinung sind, dass zumindest der Verfall der astralen Kräfte an die Lebenskräfte gekoppelt ist und mit gesundem Körper ein Verlust an arkaner Macht zumindest verzögert werden kann.

Einer der beeinflussbaren Faktoren ist die große Meditation in welcher die Gildenmagier ausgebildet werden. Dies basiert auf bewusster und kontinuierlicher Veränderung des Imagicum Arcanae durch bloße Willenskraft.

 

Verändert sich also aufgrund nicht beeinflussbarer Faktoren mein Imagicum in einer von mir nicht kontrollierbaren Richtung, wird also das Becken von selbst breiter oder höher kann ich mit der großen Meditation die Form weiter anpassen. Eine grundlegende Veränderung ist mir nicht möglich, doch hätte ich dies auch nie wirklich mit ausreichend Ausdauer und Disziplin untersucht. Bis zum heutigen Tage habe ich es dabei bewenden lassen die von sich aus eintretenden Veränderungen anzunehmen und meine bewussten Akzente zu setzen. So ist heute das einstmalige Becken zu einem breiten aber flacheren Brunnen gewachsen der auf zweiter Ebene eine Schale aufweist in welche von oben das Wasser fließt und bei ausreichender Füllmenge das untere Becken füllt.

 

Einmal möchte ich noch auf meinen Standeskollegen Jandar Gerrano zu sprechen kommen. Ihm war es bei meiner damaligen Reise möglich aus den edelsten aller Steine, gleich den Echsen, Kraft zu ziehen und in geringem Umfang habe auch ich diese Kunst erlernt. So ich nun einen entsprechend tauglichen Stein zur Verfügung und in meiner Reichweite habe kann ich auch diese in meinem Imagicum erkennen. Dort sehe ich diese auf einem jeweils einzelnen eisernen und reich verschnörkelten Tischchen stehend, abhängig vom jeweiligen Fassungsvermögen der Kraft, als Pokal oder Schale, ebenfalls angefüllt mit Flüssigkeit. Häufig ist diese Flüssigkeit wieder Wasser, wenngleich sie nicht denselben Geschmack wie das meines Brunnens hat, denn häufig ist es geschmackloser, teilweise auch nach Spuren von Eisen und Salz schmeckend.

Den genauen Grund dafür kann ich nicht nennen, gleichsam ich auch andere Dinge nicht eindeutig zu deuten weiß. Eines davon ist die Gestalt dieser zusätzlichen Kraftquellen. Was auch immer ich probierte, so war es mir nicht möglich die Gestalt dieser Kraftquellen zu ändern und doch glaube ich, sollte es möglich sein. Doch vieles des Imagicums bleibt mir noch ein Rätsel, denn es ist bei Weitem nicht so sehr unter meiner bewussten Kontrolle wie mir die anfänglichen Übungen und Unterweisungen an meiner Akademie zunächst nahe legten.

Beängstigend ist es auch heute noch muss oder will ich durch die Pforte gehen, aber lass dir von Anfang an erzählen. Im Laufe der Jahre kam ich immer wieder an das Ende meiner Kräfte und kein einziger Tropfen Wasser war mehr in meinem Brunnen zu finden. Und wenn Du diesen Punkt erreichst bist Du machtlos und schutzlos gegenüber jedem Zauber. Also lehrte man mich, nicht ohne mich vorher eingehend zu prüfen, die Technik an die verbotenen Pforten zu treten und um Einlass zu kämpfen. In jener Zeit änderte sich mein Imagicum erneut und das auf eine Art und Weise die sich jeder Beeinflussung entzog und noch heute wie ein Fremdkörper im Raum über den Ebenen steht und dennoch dort hingehört wie mein Herz in meine Brust. Zunächst vernahm ich nur einen etwa zwei Schritt hohen und einen Schritt breiten Schatten östlich im Raum ausgerichtet, so ich von Himmelsrichtungen an diesem Ort sprechen kann. Doch nach und nach mit fortschreitendem Erfolg im Erlernen der Technik verdichtete sich der Schatten zu einer übermannshohen Türe von Gusseisen in einer Zarge von etwa der Finger zehne Dicke. Hinter dieser Türe befindet sich nichts und der Blick fällt lediglich auf die rückwärtige Seite von ebenfalls blankem Gusseisen. Trete ich an sie heran, so ist immer früh morgens und sie verdeckt den Blick auf die aufgehende Sonne in Gänze. Schon aus zwei Schritt Entfernung kann ich ein anschwellendes, rhythmisches Dröhnen in meinen Ohren vernehmen und ich gehe davon aus es ist mein Herz zu welchem ich Zugang erzwingen will. Das Eisen ist warm und von einem leichten Film aus Feuchtigkeit überzogen, gleich als schwitze sie, doch ist die Flüssigkeit nicht klar und auch nicht von der Farbe frischen Blutes wie du nun vielleicht vermutet hast sondern von öliger Konsistenz in einem dunklen Braunton. Eine Klinke oder einen Knauf gibt es nicht, lediglich ein kreisrundes Loch in der Mitte der Türe in welches ich meinen Arm auf etwa fünfzehn Finger Länge hineinstecken muss um den Griff zu erreichen. Innerhalb der Öffnung ist noch mehr dieser Flüssigkeit, es ist glitschig und warm, doch das verdeckt nur das dort scharfe Dornen lauern welche darauf warten dass ich den Griff in meine Hand nehme. Sobald dies vollbracht ist nehme ich eine Hitze in meinem Arm wahr die mich an Fieber denken lässt und welche erst wieder aufhört wenn ich loslasse. Doch um die hier verborgene Kraft zu nutzen muss ich den Griff aus der Waagrechten in die Senkrechte drehen. Mit jedem Finger den ich weiterdrehe schließt sich die Öffnung in welcher mein Arm steckt stärker um mich und die Dornen bohren schmerzhaft in ihn hinein. Es fordert seinen Preis diese Kraft zu nutzen. Ist es trotz der enormen Schmerzen und entgegen des fiebrigen Gefühls endlich geschafft den Hebel zu drehen so schwingt die Tür schwer auf und der Blick auf mein Leben wird offenbar. Durch die Pforte kann ich in einer unterirdischen Höhle einen reißenden Strom wahrnehmen welcher wie dunkelrotes Blut glänzt und sich in enormer Geschwindigkeit unter ohrenbetäubendem Rauschen und Dröhnen an mir vorbeizwängt. Oben auf dem Strom sind Wellen und Strudel und rosarote Gischt zu sehen welche unter der Gewalt der Blutmassen aufspritzt und nicht nur mich sondern auch den Boden vor der Tür benetzt. An der Innenseite der Tür ist eine leicht rostige, eiserne Schale an einem Haken angebracht mit welchem ich aus diesem reisenden Strom schöpfen kann um mein Leben für die Kraft zu tauschen. Habe ich dies getan schließe ich die Pforte möglichst schnell wieder und hoffe sie alsbald nicht mehr öffnen zu müssen, denn siehe ich habe die Macht erlangt über mein eigenes Leben weit mehr zu verfügen als ich je dachte zu können und es ist genauso gefährlich wie Du Dir vorstellen kannst.

 

Nun kennst Du also mein Imagicum Arcanae doch wirst Du mich nicht mehr danach fragen, aber habe in Erinnerung falls Du einem Mann meiner Zunft begegnest, es mag auch eine Frau sein, das die Frage nach der Anwesenheit von Kraft eine ungemein persönliche ist und mit einem Blick in das innerste Deines Gegenüber verbunden ist. Wäge also ab ob Dir die Antwort tatsächlich so wichtig ist als dass Du die Frage stellen magst.

 

Aufgezeichnet von Magister Taran, Sohn Muhammeds der ein Sohn Ayabuns war im Jahre 1027 nach Bosparans Fall