Von Musik und Spitzenpferden
Die Stadt verschwand langsam hinter Yann, als Frinkor ihn über die große Reichsstraße gen Rahja trug. Der Belemann wehte beständig in seinem Rücken und der Gegenwind des schnellen Rittes tat sein Übriges dazu, Haare zu zerzausen und an Kleidern zu zerren. Etwa zwei große Sanduhren lang folgte er der Straße, die um diese Jahreszeit von Kauf- und Fuhrleuten stark befahren wurde und das ein oder andere Mal brachte ihm ein knappes Ausweichmanöver ärgerliche und mitunter unflätige Rufe ein. Ein Lächeln zeichnete sich auf Yanns Gesicht ab und kurz nach der Herberge “Weg zum Tor”, welche die letzte Übernachtungsmöglichkeit vor der Stadt am großen Fluss war, lenkte er Frinkor abseits der Straße und die beiden preschten, matschigen Schlamm aufwühlend, in beinahe ungehindertem Galopp in Richtung eines kleinen Wäldchens.
Yann liebte diese Strecke. Er und Frinkor nahmen sie oft und Yann spürte, wie das Pferd auf dem feuchten Untergrund nur noch freudiger und kraftvoller austrat, um das hohe Tempo beizubehalten. Der junge Fuchs war ein Goldfelser Hengst, ein Tier aus der edlen Züchtung des Fürstgestüts zu Methumis und das schnellste Pferd, welches Yann je geritten war. Er konnte es von der Geschwindigkeit her sogar mit den Pferden der novadischen Shadiv aufnehmen, ein Vergnügen, welches Yann bereits einmal vor knapp zwei Jahren gehabt hatte, als er mit Sharuk und den Fasarer Reitern von Festum nach Gareth gezogen war. Er musste lächeln, wenn er daran dachte, auf welche Weise er und der damals blutjunge Hengst zueinander gefunden hatten. Mit von der Partie waren seinerzeit noch Thiolan von Mehtumis, ein Svelttaler Kaltblut und eine mittelschwere Rotze gewesen. Seit diesen Tagen im südlichen Horasiat war Frinkor immer an Yanns Seite und hatte nahezu jede Gefahr überstanden und jedes Abenteuer überlebt, was – wie Yann selbst aus eigener, mitunter leidiger Erfahrung wusste – keine Selbstverständlichkeit war, wenn man als Pferd in seinem Eigentum stand.
Und noch immer trug er Wolfhart nach, dass er Siggi, Yanns erstes Pony, ohne dessen Wissen, geschweige denn Einverständnis, einfach verkauft hatte.
Mittlerweile hatten sie das Wäldchen erreicht und Frinkor peitschte über den schmalen Waldpfad, als hätte er die Reichsstraße nie verlassen. Zweige und Sträucher schlugen Yann entgegen, streiften Beine und Oberkörper, rissen an Kleidung, matschigen Stiefeln und dem leichten Filzmantel, jedoch ohne größere Schäden anzurichten. Frinkor legte sich in eine halbe Kehre und vor beiden öffnete sich eine kleine Lichtung von etwa 20 Schritt Durchmesser, welche von Wanderern, vor allem aber von Wilderern bisweilen als Nachtunterschlupf genutzt wurde; zu dieser Tageszeit waren jene allerdings längst wieder aufgebrochen.
Als Yann die Lichtung erreichte, traten jedoch trotzdem zwei Gestalten von der gegenüberliegenden Seite aus dem Unterholz. Verwegene Burschen, die am ehesten an Wegelagerer oder Waldläufer erinnerten, allerdings weit besser bewaffnet. Unverhohlen hielt jeder von ihnen eine Klinge in der Rechten, der eine ein Langschwert, der andere einen geschwungenen Säbel. Beide Männer waren größer als Yann und trugen graue Überwürfe. Darunter blitze jedoch bei dem linken der beiden ein Kettengeflecht hervor. Sein Gesicht war überraschend glatt rasiert, als er die Kapuze zurückschob und mit der Spitze seines Schwertes auf das sich rasch nähernde Gespann zeigte.
Worte brauchten nicht gewechselt zu werden. Frinkor wurde langsamer, hielt jedoch weiterhin auf die beiden Männer zu. Der Rechte der beiden, er mochte etwa 20 Sommer gesehen haben und damit einige wenige Jahre jünger sein, als der Linke, streckte ebenfalls die Waffe nach vorn.
Yann spannte sich an. Was jetzt kam würde alles andere als ungefährlich werden. Beide Männer setzten sich langsam in Bewegung und fächerten auf. Sie bewegten sich wie erfahrene Kämpfer, sicheren Schrittes auf dem feuchten Untergrund.
Als Yann noch etwa zehn Schritt von den beiden entfernt war, löste er die Stiefel aus den Steigbügeln, stützte sich mit beiden Händen auf den Knauf des Sattels und befand sich im nächsten Moment in gehockter Haltung, die Stiefel auf dem Sattel. Er stieß sich mit einem heftigen Ruck ab und das Tier trabte unter ihm weiter. Die Beine nicht angewinkelt schlug Yann einen langgezogenen, gestreckten Salto in der Luft. Ein singendes Geräusch war zu hören und Frinkors Herr landete auf dem weichen Waldboden, wobei er in die Knie ging, um die Geschwindigkeit abzufangen, beide Arme weit neben dem Körper ausgestreckt, eine schwarze Klinge in jeder Hand. Der Nachtwind in seiner Rechten wogte noch leicht, angestoßen durch die schnellen Bewegungen, auf und ab; schwang langsam aus.
Keiner der beiden Männer zeigte sich hiervon offensichtlich beeindruckt. Die beiden Männer wechselten einen kurzen Blick und rückten sogleich weiter vor. Nachdem Frinkor zur Seite weggetrabt war, nahmen sie eine leicht versetzte Aufstellung ein und der jüngere von beiden kam mit einem schnellen Ausfall nach vorne. Kurz bevor er Yann erreichte hob dieser den Kopf, riss den Nachtwind herum und ließ die blitzende Klinge des Säbels abgleiten. Er kam aus der Hocke hoch und parierte den zweiten und dritten Angriff des Mannes. Der Nachtwind schnellte durch die Luft, sang auf der Lichtung sein ruhiges Lied in präzisen, schnellen Noten. Die zweite Klinge, ein Degen, blieb dabei unbeachtet, ja teilnahmslos in Yanns linker Hand. Nachdem die ersten wilden Angriffe des jüngeren Mannes ausgeklungen waren, geriet einer seiner Hiebe offensichtlich zu kurz, sodass Yann sich von ihm lösen konnte und einen schnellen Satz nach hinten machte. Der andere setzte nicht sofort nach, sondern brachte seine Deckung erst einmal wieder nach oben, den Säbel vor dem Oberkörper. Sein Blick fiel auf die Waffe und mit einem ernüchterten, fast schon fatalistisch anmutenden Ausdruck im Gesicht nahm er die groben Scharten in der vormals intakten Klinge zur Kenntnis.
Der zweite Mann, der bislang noch nicht ins Kampfgeschehen eingegriffen hatte, trat vor seinen Kameraden, brachte sein Langschwert in Stellung und musterte Yann. Dieser ließ beide Waffen in den Händen kreisen und versteckte sie sodann hinter seinem Rücken, die Aufforderung an den anderen, anzugreifen. Dieser ließ sich auch nicht zweimal bitten sondern kam nach vorn mit einem ersten, tief geführten Hieb in Richtung des Knies seines Gegners. Wieder erhob der Nachtwind seine schneidende Stimme und kleine Sterne aus blauen Funken sprühten auf, als die Waffen aufeinander trafen, tanzten zum Lied der Klingen ihren begleitenden Reigen. Die Angriffe waren nun weit weniger energisch, dafür präziser, überlegter und mit mehr Erfahrung und Können ausgeführt. Die beiden Kontrahenten begannen sich in einer schnellen Abfolge von Attackeserien und Paradeschwüngen zu drehen, eine Wand aus verschwommenen Klingen zwischen sich.
Der Nachtwind sang, der Degen schwieg.
Nach gefühlten Minuten öffnete sich eine erste Lücke in dem Angriffstrommeln von Yanns Gegner und in einer flüssigen, wellenartigen Bewegung zog sich der Nachtwind zurück, trat nach hinten und der Degen schnellte nach vorn. In kurzen, abgehackten Bewegungen kam die Waffe nach vorn und zwang den Soldaten in die Verteidigung. Ein Staccato von Hieben und Stichen setzte ein, ein leise, abgehackte Melodie, ganz anders als diejenige, die vorher erklungen war. Die Angriffe zielten zumeist auf den nicht schwertführenden Arm, kamen bisweilen aber auch überraschend tief oder mittig zentriert. Kettenglieder rasselten, das Langschwert hatte Mühe hinterherzukommen, als die schlanke Klinge immer und immer wieder unaufhörlich versuchte, die Deckung des Mannes zu durchdringen.
Die zweite Strophe hatte begonnen; und der Nachtwind schwieg.
Schließlich fand jedoch der Degen seine Lücke, ließ das Schwert hinter sich und schlug klirrend in das Kettengeflecht ein, welches unter dem Überwurf teils verborgen lag. Einige der Ringe wurden gesprengt und knapp oberhalb der Hüfte trat die Spitze in das Fleisch des älteren Mannes ein, wo sie jedoch weder tief, noch besonders lang verweilte.
Yann sprang zurück und begutachtete den Schaden. Für einen kurzen Moment lag eine nunmehr seltsam anmutende Stille über der Lichtung. Der Getroffene blickte nach unten an die Stelle, an der das Lied des Degens seine rote Spur hinterlassen hatte, sah dann wieder auf und lächelte. Yann tat es ihm gleich und der Nachtwind zuckte nach oben, leitete die dritte Strophe des Liedes ein, als er den plötzlich heranfliegenden Säbel des jüngeren parierte.
Dieses Mal war es dem älteren jedoch unbenommen, ebenfalls in die Melodie mit einzustimmen. Das Trommeln aufeinander treffender Klingen wurde zum heftigen Takt eines Konzerts zweier ungleicher Solisten, welche von zwei soliden Unterstimmen begleitet wurden. Der Degen und der Nachtwind sangen nun gleichzeitig, am Anfang noch gemeinsam, doch irgendwann unterschiedlich, die Strophen von Attacke und Parade, die sich einem Kanon gleich bisweilen zu verfolgen schienen, zueinander fanden, nur um sogleich wieder auseinander gerissen zu werden.
Etliche lange Herzschläge fochten die drei Widersacher, wobei es keiner der beiden Parteien gelang, die Führung im großen Konzert so lange zu behaupten, um es zu einem Abschluss zu bringen.
Die Vorstellung endete jedoch unrühmlicher, als vor allem Yann das erwartet hatte. Nachdem die Auseinandersetzung lange Zeit – beachtete man die Überzahl der Gegner – zu seinen Gunsten verlaufen war, merkte er doch, wie ihm langsam die Kräfte schwanden und die Umgebung mehr und mehr verschwamm. Er hatte einige Treffer einstecken müssen, hatte aber auch mindestens genauso viele ausgeteilt, als seine Aufmerksamkeit für einen kurzen Moment nachließ, oder besser, zu sehr von seinen zwei Gegnern in Anspruch genommen wurde. Er bemerkte die Wurzel der großen Fichte erst, als sich sein Fuß gerade in den weichen Boden darunter geschoben hatte. Zu seinem Unglück war sein Körper zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg in einen wirbelnden Ausfall nach links vorne gewesen, welcher jäh durch sein auf der Strecke bleibendes Bein gebremst wurde. Die Bewegung war jedoch derart impulsiv gewesen, dass es Yann zurückriss und er mit einem fluchenden Aufschrei zu Boden ging, wobei sich sein Fuß nicht einmal aus seiner Umklammerung löste. Sofort hatte er eine und gleich danach auch noch die andere Klinge an der Kehle liegen.
Seine beiden Gegner lächelten auf ihn herab und er schloss schwer atmend die Augen.
“In Ordnung, das reicht!” erklang eine Stimme vom hinteren Teil der Lichtung.
Die beiden Männer machten keine Anstalten, die Waffen wegzunehmen. Yann öffnete die Augen: “Er hat recht, es ist genug erst einmal.”
Daraufhin nahmen die Beiden die Waffen hoch und erlaubten sich ihrerseits erst einmal zu verschnaufen. Sie drehten sich um und gingen in Richtung eines am Rand der Lichtung liegenden Findlings, um sich zu setzen.
Yann richtete sich auf und sah Taran auf ihn zukommen. Der Tulamide war wie immer bis auf das Gesicht verschleiert und trug seine Tasche mit Verbandsmaterial und allerlei Heilmittelchen bei sich.
“Inien!” rief er.
Der ältere der beiden Männer drehte sich um. Der Tulamide warf ihm nacheinander zwei Kupferfläschchen zu, welche der Gerufene auffing und eine davon gleich weiterreichte. Auch Yann bekam ein solches in die Hand gedrückt und dankend öffnete er es und trank den Inhalt in einem Zug. Sogleich spürte er die Kräfte in seinen Körper zurückkehren und die vielen kleineren Blessuren verschwinden.
“Und es klappt!” brachte er immer noch schwer atmend hervor, alsbald als das Fläschchen leer war. “Es fehlt nur vor allem der Blick für die Umgebung, aber ansonsten ging es. Du hast es doch gesehen?” Die Euphorie in seiner Stimme war nicht zu überhören.
“Was ich gesehen habe ist ein Verrückter, der ohne irgendeine Not in halsbrecherischer Art von seinem Pferd springt, sich in der Luft überschlägt und danach mit echten Waffen auf zwei Männer seiner eigen Leibgarde losgeht.” entgegnete Taran.
“Es war wie Musik.” sprudelte es weiter aus Yann heraus, der offensichtlich etwas anderes in der Antwort seines Freundes gehört als dieser gesagt hatte.
“Wir üben das nun so lange und nun ist der Knoten geplatzt. Zugegeben es war nur kurz, aber es war eindeutig. Sie sind nicht an mich herangekommen. Auch zu zweit nicht!” Er wandte sich um:
“Ihr seid nicht an mich herangekommen, obwohl ihr es ernsthaft versucht habt, richtig?” Der Jüngere schüttelte den Kopf. Der Ältere – Inien – sagte nach einer kurzen Pause: “Nunja, also letztlich…”
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Yann aber schon wieder Taran zugewandt.
“Ich weiß, das mit den Waffen war nicht besonders umsichtig, aber es musste einmal sein. Wir haben es jetzt die ganze Zeit mit Turnierschwertern geübt. Aber das ist letztlich nicht dasselbe. Es musste einmal wie im Ernstfall geprobt werden. Und außerdem: Die Nummer mit Frinkor haben wir schon vor über einem Jahre einstudiert. Auch das muss im Ernstfall klappen. Und es hat ja auch alles funktioniert. Es war einfach … ja wie Musik eben. Bis zu dieser elenden Wurzel.”
“Das war jedenfalls das erste und einzige Mal, dass ich mich dafür hergegeben habe, euch bei sowas gegebenenfalls zusammenzuflicken.” sagte Taran.
“Und das wird es in dieser Form auch bleiben.” beruhigte ihn sein Freund. “Ehrlich.”
“Das aus Deinem Munde; bedeutet echt was.”
“Das kann ich jetzt aber zurückgeben.”
Ehrlich. Echt.
Die beiden sahen sich an. Und mussten lachen.
“Sammel Deinen Krempel zusammen.” sagte der Tulamide und machte sich davon. “Frinkor steht zehn Schritt von hier im Unterholz” sagte er im Weggehen, “frag dich mal, was der davon hält, dass du einfach von ihm runterspringst und dann nur noch Waffengeklirr zu hören ist.”
“Der findets spitze.” brummelte Yann. “Is nämlich n Spitzenpferd, der Frinkor.”