Wald

Mein gesamtes Leben lang habe ich meinen Körper gestählt, meine Ausdauer, Schnelligkeit und vor allem meine Kraft immer wieder aufs Neue herausgefordert. Dabei habe ich nicht gemerkt oder es auch gar nicht wahr haben wollen, dass in einem starken Körper auch ein starker Geist wohnen muss.

Der Krieger kennt natürlich den Moment. Kurz bevor der Gegner fällt. Wenn er in dessen Augen sieht, dass auch er es weiß. Der eine Schlag ist noch in der Bewegung und unaufhaltsam, zwingt er den Mann zu Boden. Keine Finte keine Parade, kein Schild, keine Wehr kann es ändern. Beide haben erkannt dass einer fällt.

Nur hat es der Eine eben früher gesehen als der Tote.

Kampf ist immer neu und immer anders, aber auch immer gleich. Die Bewegungen fließen und der Körper handelt. Der Krieger muss alles sehen, alles riechen und alles spüren. Er muss in seinem Geiste frei sein. Der Kämpfer der seinen Hieb erst denken muss bevor er ihn schlägt ist schon geschlagen.

Der Meister denkt nicht darüber nach was er tut oder tun wird, sondern er hat die Freiheit zu erkennen was sein gegenüber tut. So kann er in die Zukunft schauen und wird jeden Gegner bezwingen.

In dieser fast noch heißen Nacht kam es, das auch Taran nicht einschlafen konnte. Ich hatte gerade mein Lederzeug und meine Rüstung geschrubbt und gefettet, als ich noch einige Übungen vollführen wollte um die nötige Schwere für einen borongefälligen Schlaf zu finden. Ich hatte Ihm so eine Weile zugesehen. Er dehnte sich mit Ruhe und Kraft. Fing bei den Füßen an und arbeitet sich seinen Körper von außen nach innen entlang. Fast so wie vor dem Faustkampf in der Akademie. Aber irgendwie viel langsamer und doch auch kraftvoller. Diese Übungen weckten mein Interesse. Ich musste ihn unterbrechen.

Freilich war er nicht gerade sehr erfreut, aber jetzt kennen wir uns schon so lange und was sollen da schon die paar Stunden kosten?

Also kam mir Taran entgegen und zeigte mir den ganzen Zyklus der Mada. Leider war natürlich nicht alles für mich zugänglich. Dennoch sind viele Techniken dem Grunde nach brauchbar. Ist doch alles Leben mit einer gewissen Magie beseelt.

Die aufgehende Mada musste ich nicht wirklich neu erlernen. Hier ist eher die Art der körperlichen Vorbereitung etwas Neues. Auch in der Form der Bewegung ist immer etwas Entstehendes zu erkennen. Meist sind es kreisende Bewegungen die von unten nach oben geführt werden und in langsamen und sehr konzentrierten Schritten vorgetragen werden. Ich beginne den Zyklus immer sitzend am Boden. Beide Schwerter vor mir im Boden. Langsame Bewegungen mit dem Kopf. In jede Richtung ist die größte Beweglichkeit zu erreichen. Dann gehe ich über die Schulter die Arme entlang bis zu den Fingerspitzen und zurück. Anschließend von den Füßen zum Körperstamm. Es wird nun eine kniende Haltung eingenommen und mit den weiteren Übungen erwacht Mada immer weiter und gelangt zu Kraft und Größe. Die Formen sind langsam und die Schritte führen in einem Kreis von den Schwertern weg. Sie werden schneller und fast vor der Hälfte des Kreises kommen auch klein Sprünge dazu. Diese sind Präzise. Der Halbmond ist voller Energie. Diese Energie entlädt sich dann in der zweiten Hälfte des Kreises und schließt mit einem gedrehten Sprung aus dem Stand der in einer Rolle endet, wonach ich, in tiefer Hocke bereit zum Sprung beide Schwerter in den Händen halte. Der zweite Kreis ist bis zu Hälfte heftig, dann aber abnehmend und wird wieder ruhiger. Im Zweiten Kreis werden die Schwerter geführt. Diese Form muss mir immer mehr unbewusst werden. In meiner Halle in Wetterfels werde ich diese Form mit einem Aufbau von Kerzen und Ästen unterstützen. Das Ende muss die absolute Genauigkeit der Form sein, damit der Geist zur größten Freiheit kommt. Dann wird kein Erkennen mehr nötig sein, sondern es wird durch Wissen ersetzt.

Nach dem zweiten Kreis kommt die Ruhe. Im Kriegersitz richten sich alle Sinne nach innen. Kein Gefühl darf den Geist eintrüben und kein Schmerz darf Gefühle wecken. Der Schlag des Lebens gibt nun den Takt vor. Alle Kraft liegt hier und in ihm liegt alle das was ist. Der Moment ist nun wichtig und nicht das was war oder sein wird. Hierbei will ich den Moment dehnen. Denn je länger der Moment andauert, desto mehr Möglichkeiten kann er aufnehmen. Dafür muss leerer Raum geschaffen werden. Absolute Reinheit und Klarheit des Geistes sind das Ziel.

Bevor Mada schlussendlich an den Himmel gefesselt wird, folgen erneut kräftigende Dehnungen. Aus dem Moment der ist, muss der Moment werden der sein wird. Dieser Übergang ist nun ganz langsam zu erforschen. Der Krieger bewegt sich keinen Schritt vom Platz, sondern er bewegt sich so langsam wie die Zeit selbst. Höchste Konzentration ist gefordert, wenn aus der knieenden Form ein gespreizter Adler, ein Handstand und ein Brücke wird, die sich allmählich zum Turm und dann wieder in einen Tisch wandelt. Je mehr Momente gefasst werden können, desto besser.

Völlig erschöpft und vollkommen in Ruhe und Frieden wird der Zyklus des Madakriegers stehend beendet.

Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ich im Streben nach der Meisterschaft eines Kriegers Frieden finden würde.

Aufzeichnungen von Wolfhart Angbarar aus dem Jahr 34 nach Hal.

Zu lesen in “Der Weg des Kriegers – Curriculum II – für Lehrmeister” persönliche Ausgabe aus dem Archiv des Tempels der Flussnebel.